Passivist – ein Gegenmodell zum Aktivist


Die Gesellschaft erodiert, die Ökosysteme erodieren, das Klima erodiert, die Moral von Friedrich Merz ist längst erodiert. Trotzdem ist der Begriff des Aktivisten (also diejenigen, die sich der Erosion entgegenstellen) in vielen Kreisen ein Schmuddelbegriff. Otto Normalbürger bleibt lieber Passivist – und ist damit nicht alleine.

Aktiv zu sein ist dem Menschen immanent. Zu wenig körperliche Bewegung führt zu Krankheit und Schwäche, zu wenig geistige Bewegung führt zu Dummheit, zu Frustration und in letzter Konsequenz zur AfD (bzw. zur AfD mit Substanz). Inaktivität kann sogar zu Depressionen führen – ebenso ist die Inaktivität ein depressives Symptom. Wenn wir das Problem nun ganzheitlich betrachten, dann sehen wir in vielen Aspekten der heutigen Welt, wie unsere akuten Probleme durch gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Passivismus erst entstanden sind: Das ewige „weiter so“ als starres, inaktives Festhalten an veralteten Lebensweisen, denen z.B. die Physik des Klimawandels längst davongelaufen ist.

Nun will man es kaum noch hören (oder lesen), nichtsdestotrotz steht die Menschheit am größten Scheideweg mutmaßlich seit 1.000.000 Jahren. Es geht schlicht darum, ob wir auf kurzfristige Sicht ein gutes und auf langfristige Sicht überhaupt noch ein Leben leben können. Wohlwissend, dass die Zeit davon läuft, hadern viele WissenschaftlerInnen mit sich, was sie noch tun können, um den Kollaps zu verhindern. Oder zumindest zu begrenzen, weil etwas verhindern, das schon stattfindet, ist nicht mehr möglich.

Leider funktioniert der übliche Weg nur sehr begrenzt, im populistisch aufgeheizten Diskurs hat er längst die Grätsche gemacht: Klima „klickt“ nicht, das sachliche Warnen, die exakte Beschreibung von Ursache und Wirkung erreichen immer wieder dieselben Leute. Nun mag sich dieser Weg weiterhin aktiv anfühlen – man tut ja etwas (und es wäre schön, wenn dieser Weg der richtige wäre). Der Passivismus liegt in der Methodik: Man wiederholt und wiederholt die gleichen, wenig wirksamen Methoden, während sich Politik und Gesellschaft zunehmend von der nötigen Konsequenz im Kampf gegen Klimawandel und Biodiversitätskollaps abwenden.

Scientists For Future haben schon immer informiert. Sie sind die Stimme der Wissenschaft in der Klimabewegung – „Hört auf die Wissenschaft!“ ist dort gut aufgehoben. Eine Organisation, die innerhalb der Bewegung unangefochten wichtig ist, hat außerhalb jedoch kaum Relevanz. Verharrend in der überholten Vorstellung, dass man die Menschen nur informieren müsse, sind Scientists For Future gesellschaftspolitisch zum Passivisten geworden. Was übrigens eine Entscheidung ist, die die beteiligten WissenschaftlerInnen selbst getroffen haben.

Eine kleinere Gruppe labelt unter dem Schmuddelbegriff des Aktivisten: Scientist Rebellion. Durch tiefe Einblicke in beide Organisationen weiß ich sehr gut, dass sich die braven WissenschaftlerInnen möglichst fern von dieser Gruppe halten. Vielleicht sind sie durch ihre Aktionen des zivilen Ungehorsams zum stillen Vorwurf geworden: „Du weißt doch, dass wir unser aller Zukunft verlieren. Warum gehst du nicht auf die Straße?“ (eine Frage, by the way, und keine Forderung).

In einem lesenswerten Interview schreibt der Godfather of Klimaforschung, Stefan Rahmstorf: „Ich denke schon, dass sich zu wenige Wissenschaftler aktiv in die Debatte eingeschaltet haben. Einerseits wohl aus Zeitdruck, andererseits wurde man in den Medien massiv angegriffen, wenn man sich äußerte, als ‚alarmistisch‘ bezeichnet. Das hat viele Kollegen abgeschreckt.“ AuchWissenschaftlerInnen sind nur Menschen – die eigene Reputation ist am Ende des Tages oftmals wichtiger als der Beitrag zum Überleben (nicht zuletzt der eigenen Kinder). Weiter sagt Rahmstorf: „…ich denke, es ist nachvollziehbar, wenn Menschen zu radikaleren Protestformen greifen, wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht.“

Und hier will ich die Brücke schlagen, bei der es vielen (noch) sehr schwer fällt, sie zu begehen – wahrscheinlich ist sie eine wackelige Hängebrücke: Ein Problem diktiert den Lösungsweg. Wenn ein Lösungsweg messbar kein befriedigendes Ergebnis bringt, dann wird es Zeit, neue Wege zu beschreiten. Wer sich dem verweigert, verharrt als Passivist in der nutzlosen Wirkungslosigkeit – letztlich im Scheitern. Wer das Risiko (!) eines neuen Weges eingeht, kann ebenfalls scheitern. Doch in welchem Gebüsch säße die Menschheit heute, wenn sie von Beginn an neue Wege ignoriert, alle Risiken vermieden und dadurch als Passivist verharrt hätte? Ja, es geht auch um persönliche Risiken: Aktivisten gehen diese ein, Passivisten vermeiden sie.

Es ist also nicht so, dass der Passivist nach dieser Definition gar nichts täte – er verharrt in der Routine (des Denkens, des Handelns, der Selbstlüge…). Damit bleibt er (oder sie) an jenem Hebel passiv, der uns den riskanten Weg zum Überleben weist: Der Hebel der Veränderung. Sei also aktiv, trete für Veränderungen ein und – ohne geht es nicht – erweitere auch Deinen eigenen Horizont! Und damit einhergehend: Dein Handlungsrepertoire.

Deine Kinder werden es Dir danken.

Über Dominic Memmel

Eine gesunde Mischung aus Kommunikation & Menschenkenntnis
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3 Antworten zu Passivist – ein Gegenmodell zum Aktivist

  1. G.Schwarz schreibt:

    Hallo Dominic,
    wenn Passivisten wirklich *garnichts *tun würden, dann gäbe es sogar
    weniger umweltschädigenden Müll.
    Gruß
    Günter

    • Dominic Memmel schreibt:

      Lieber Günter,
      damit keine Missverständnisse aufkommen, hab ich deinen Kommentar zum Anlass genommen, den letzten Absatz anzupassen:

      Es ist also nicht so, dass der Passivist nach dieser Definition gar nichts täte – er verharrt in der Routine (des Denkens, des Handelns, der Selbstlüge…). Damit bleibt er (oder sie) an jenem Hebel passiv, der uns den riskanten Weg zum Überleben weist: Der Hebel der Veränderung. Sei also aktiv, trete für Veränderungen ein und – ohne geht es nicht – erweitere auch Deinen eigenen Horizont! Und damit einhergehend: Dein Handlungsrepertoire.

      LG

      • Günter Schwarz schreibt:

        Lieber Dominic,
        hinter meinem „garnichts“ steckt allerdings die schon von Lenin geäußerte Frage „Was tun?“.
        Nichts wäre sicher besser als Greenwashing. Die Natur braucht den Menschen nicht. Außerdem sind viele Aktionen von Aktivisten von geringfügigem Nutzen im Vergleich zu professioneller Waldrodung, Oberflächenversiegelung, Elfenbeinschmuggel usw.
        Viel Reklame wird auch mit kleinen kosmetischen Korrekturen gemacht.
        Mit „nichts tun“ ziele ich darauf ab, dass alles was wir tun nur der Natur schadet. Oder gibt es irgendein Beispiel wo grüner Strom der Natur nützt?
        Gruß
        Günter

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