„Erschaffende“ und „zerstörende“ Kommunikation


Kommunikation kann erschaffen, Kommunikation kann zerstören. In einer Zeit, in der die zerstörende Kommunikation fast jede öffentliche Debatte beherrscht, sich selbst aber gerne hinter „gewichtigen Wahrheiten“ und vorgeschobener Menschlichkeit versteckt, wollen wir genauer hinsehen…

Gesellschaftliche und politische Debatten sind nicht nur Debatten zur Lösungsfindung, sie sind vielmehr ein Ringen darum, ob wir heute etwas leisten, damit wir morgen noch gut leben können. Besonders im Kontext von Klima, Ökologie und Rechtsruck wird die Diskrepanz zwischen heutiger Gemütlichkeit und zukünftiger Katastrophen deutlich. Der grundsätzliche Streit liegt also in der Frage, ob das Jetzt oder die Zukunft wichtiger ist – und der äußert sich auch in der Kommunikation: Rücksichtslos und zerstörerisch oder erschaffend und verantwortungsvoll?

Was ist „erschaffende Kommunikation“?

Erschaffende Kommunikation ist dem Ergebnis zugewandt: Sie will die Sache (welche auch immer) voran bringen, zielt auf machbare Wege ab und auf das Erhalten oder gar Fördern des hierfür notwendigen sozialen Miteinanders (z.B. Teambuilding, Mediation). Erschaffende Kommunikation findet die Fehler und benennt sie. Sie macht aus den Fehlern keinen Vorwurf, sondern einen Hinweis: „Hier nicht lang, sonst scheitern wir. Suchen wir in einer anderen Richtung!“ Erschaffende Kommunikation kann sehr penibel sein, uns sie bleibt hartnäckig, bis ein Ergebnis gefunden ist. Für Ausflüchte und Ablenkungen (Schein-Lösungen, Symptomverschiebungen, Schuldvorwürfe…) ist sie eine tatsächliche Bedrohung.

Neben den Voranbringen kann sie auch verbinden, Brücken bauen, neue Wege beschreiten… und ist damit im Kern die Art der Kommunikation, die dem Menschen am nächsten steht. Ohne erschaffende Kommunikation würden wir heute nicht in Häusern leben, wären unfähig zur Partnersuche und würden keinen Ackerbau betreiben: Das gemeinsame Verbessern von Fähigkeiten, Wissen und Möglichkeiten hat den Homo sapiens so erfolgreich gemacht.

Erschaffende Kommunikation ist aufwändig, oftmals trägt sie auch im Nachgang ein gewisses Arbeitspensum mit sich herum (z.B. Arbeitsaufträge) – als Belohnung führt sie zu einem gesünderen Miteinander und zu „haltbaren“ Ergebnissen. Erschaffende Kommunikation fordert und fördert, sie erwartet die Bereitschaft zur Beteiligung, geht teils langwierige Umwege (Umwege erhöhen die Ortskenntnis!) und führt nur bei notwendigen Ruhephasen in Bereiche, in denen Probleme verdrängt und die messbare Realität vernebelt werden darf (z.B. eine Märchengeschichte zum Einschlafen: die Inhalte sind realitätsfern, gefördert wird der soziale Zusammenhalt). Ist es notwendig, so kann erschaffende Kommunikation grausam sein (z.B. schmerzhafte Ehrlichkeit in Liebeskrisen, die auf längere Sicht zu einem stabilen Miteinander führt). Dem gegenüber steht ihr klar motivationaler Charakter: Wo Verständnis, Interesse und das Miteinander gefördert werden, da folgt die Motivation auf dem Fuße.

Was ist „zerstörende Kommunikation“?

Zerstörende Kommunikation unterbricht den Gedankenfluss, verfälscht oder zerstört den Inhalt bzw. die Botschaft oder gar die gesamte Debatte. Auch das soziale Miteinander kann durch zerstörende Kommunikation großen Schaden nehmen, wie wir es auf Twitter täglich beobachten können. Die einfachste Variante zerstörender Kommunikation ist natürlich der Frontalangriff: Anschreien, beleidigen, belügen und so weiter. So stumpf diese Werkzeuge auch sein mögen, sie sind effektiv und sorgen schnell dafür, dass sich die Menschen von einer Debatte abwenden. Damit ist zwar der Debatte geschadet, der Schädling hat seinen Einfluss jedoch schnell verwirkt.

Um sich längerfristigen Zugang zu einer Debatte zu verschaffen, kleidet sich zerstörende Kommunikation oft ins Gewand des sachlichen Beitrages – so z.B. die Aussage „Hätten wir die AKW nicht abgeschaltet…“ in einer Debatte über die Hürden beim Ausbau moderner Energieinfrastruktur: Eine scheinbar berechtigte Aussage führt die Debatte vom Kernthema (EE) hin zu einer Scheindebatte (AKW). Auch das scheinbar begeistert-interessierte Dazwischen-Bestätigen, wie es Herbert Diess in folgendem Video aufführt, gehört zur zerstörenden Kommunikation – es stört den Gedankenfluss und verhindert somit, dass Maja Göpel ihre Aussagen gut und verständlich präsentieren kann:

Zerstörende Kommunikation erkennen

Die Frage, ob die Art der Kommunikation, der du begegnest, gezielt zerstören soll (manchmal ist es ja nur Dusseligkeit), ist nicht leicht zu beantworten, denn hier spielen viele Faktoren hinein. Letztlich kann exakt dieselbe Kommunikation von Person A erschaffend und von Person B zerstörend sein – eine Frage der Beziehungsebene. Indizien für zerstörende Kommunikation sind z.B.:

· stört sie den Gedankenfluss?
· lenkt sie vom Thema ab?
· polarisiert sie?
· verschiebt sie Sachfragen auf die persönliche/soziale Ebene?
· ist sie offen aggressiv?
· ist sie versteckt aggressiv?
· ist sie verwirrend?
· ist sie wertend?
· treibt sie einen Keil in die Debatte
(anschauliches Bsp: „Bist du für Israel oder für Palästina?“ treibt die Spaltung durch erzwungene Positionierung voran: Die durchaus gerechtfertigten Optionen „Ich finde falsch, was beide Seiten tun!“ bzw. „Ich habe dazu keine abschließende Meinung!“ werden ausgeklammert)?
· wie ist die grundsätzliche Haltung der Beteiligten (bzw. ihrer Auftraggeber) zueinander?

Der feine Unterschied zwischen Bühne und Backstage

Was in obiger Auflistung fehlt, sind folgende Punkte:

· ist sie unfreundlich bzw. nicht zugewandt?
· ist sie desinteressiert?

Menschen sind sehr leicht zu beeinflussen: Lächelt ein Model von der Werbetafel herab, so steigt der Absatz des Produkts. Auch auf die Begrüßung „Wie geht es dir?“ sollte nur ein „Gut!“ folgen, ganz unabhängig vom tatsächlichen Gemütszustand. Sprich: Wir spielen nicht nur etwas vor, wir wollen das Vorgespielte auch gern glauben. Und hier kommen wir zur Freundlichkeit bzw. zum vorgespielten Interesse (siehe Herbert Diess).

Wer in einem Debattenraum längerfristig für Zerstörung sorgen will, muss sich Zugang und Gehör verschaffen. Ist der Zugang geschafft (meist mit einem Klick), so wird das Gehör etabliert – der Eindruck, es „gut zu meinen“. Man sieht es bei der AfD jeden Tag: „Wir meinen es gut! Wir wollen das deutsche Volk vor der linksgrünen Vernichtung retten!“ Was sie tatsächlich meinen, ist bekannt: „Wir wollen die Debatte zerstören, Politik und Gesellschaft destabilisieren, und zuletzt auf den Scherben und Gräbern hocken (weil tanzen können wir nicht)!“ Neben all den direkten Angriffen, die sie ja ebenso fährt, ist es gerade jene schäbige Art, ein gut meinendes (bzw. zu Unrecht angegriffenes) Bild abzugeben. Die AfD weiß besser als jede progressive Partei: Die Masse fällt auf das herein, was auf der Bühne geschieht (wie präsentiere ich mich?), ohne einen genaueren Blick in den Backstage zu wagen (was ist mein wahres Ziel?).

Freundlichkeit und Interesse sind wirkungsvolle Bühnenelemente, denn sie suggerieren Zugewandtheit und Zusammenhalt – die heimliche Gegnerschaft bleibt: heimlich! „Wer gut zu mir ist, zu dem bin auch ich gut!“ ist ein archaisches Verhalten im Gruppenkontext. Der Unterschied zwischen „gut sein“ und „gut meinen“ ist der Knackus, an dem zerstörende Kommunikation auffliegen kann: Wir sehen es bei Herbert Diess, der in obigem Video ausschließlich bejahend und unterstützend agiert (die Bühne), jedoch mit dem Ziel, die Ausführungen von Maja Göpel zu stören (der Backstage) – was ihm gelingt!

Was für wen und wann?

Es wäre ein grober Fehler, sich den Methoden zerstörender Kommunikation zu verweigern. Die Frage liegt dabei nicht in der Moral, denn die ist längst entschieden: Willst du zerstören oder willst du erschaffen? Gehen wir davon aus, dass du erschaffen willst:

Für dich ist die erschaffende Kommunikation die elementare Form: Verständlich machen, Möglichkeiten überprüfen, Hindernisse aufzeigen (und auf ihre Lösung hinarbeiten), Bündnisse knüpfen, Fähigkeiten fördern, „das Ganze“ zu einem positiven Abschluss führen. Solange du ungestört (sic!) erschaffend kommunizieren kannst, solltest du das tun: Es bringt die Sache voran und fördert das Miteinander.

Wie wir am Beispiel von Herbert Diess gesehen haben, ist die erschaffende Kommunikation vielerlei Angriffen ausgesetzt. Das Problem an der Sache: Meist sind sich die Angegriffenen zu fein bzw. schlicht unfähig, angemessen auf zerstörende Kommunikation zu reagieren (weil für solche Situationen nicht ausgebildet). Maja Göpel – in Sachen erschaffender Kommunikation eine echte Ohrenweide – zeigt den gängigsten Fehler: Sie redet einfach weiter, während die Aufmerksamkeit des Publikums recht schnell von ihren Ausführungen weg wandert, hin zur Absurdität dessen, was auf der Bühne geschieht: Die Talkshow verwandelt sich von der Informationssendung in eine Bühnenshow. (By the way, liebe Kommentatoren unter besagtem Video: Das ist der Grund, warum Lanz nicht eingreift: Er will die Show!)

Wie jedoch reagieren? Ein Satz wie „Herr Dies, Ihr Mund ist inkontinent!“ hätte in dieser Situation zumindest für ein Stocken gesorgt, möglicherweise hätte Diess seinen (nun enttarnten) Angriff beendet – eine Frage seiner Schamlosigkeit. Der Wirkmechanismus ist dabei folgender – und er findet nicht auf der Sachebene statt:

· Herbert Diess nutzt zerstörende Kommunikation, um die Debatte zu verunmöglichen
· Maja Göpel bzw. Markus Lanz „kontern“ diesen Angriff ebenfalls mit zerstörender Kommunikation (hierbei wird Diess und seine Art vor großem Publikum ins Lächerliche gezogen: „Herr Dies, Ihr Mund ist inkontinent!“)
· Herbert Diess bricht den Angriff ab, Maja Göpel kann ihre Ausführungen ungestört beenden
· die erschaffende Kommunikation hat sich durchgesetzt, indem sie den Angriff zerstörender Kommunikation mit ihren eigenen Mitteln „zerstört“ hat ➜ der Raum für weitere erschaffende Kommunikation wurde erfolgreich verteidigt!

Ein einziger Satz, der gar nicht zu oft wiederholt werden kann, zeigt deutlich, dass es nicht die moralische Vorstellung von Kommunikation oder eine grundsätzliche Haltung zum zwischenmenschlichen Miteinander ist (z.B. Höflichkeit, ausreden lassen), die im Kampf für erschaffende Kommunikation die entscheidende Wirkung entfaltet: Der Angriff bestimmt die Art der Verteidigung!

Und jetzt?

… fallen wir auch in der Form unserer Kommunikation nicht auf das Toleranzparadoxon herein: Wenn zerstörende Kommunikation die Debatte zerstören will, dann hat sie den entscheidenden Vorteil, dass Zerstören einfacher ist als Erschaffen. Wenn wir also unsere Energie ins Reparieren der Debatte stecken, dann laufen wir nur hinterher. Letztlich wird die Debatte zerstört, wie wir es täglich in vielen Kommentarspalten und Social-Media-Gruppen erleben dürfen.

Effektiver – und für die erschaffende Debatte nützlicher – ist es, den Angriff abzuwehren. Im Zewifelsfall heißt das, den Angriff bzw. den Angreifer (nicht physisch, aber seine Meinungshoheit) zu (zer)stören. Sicherlich wendet man sich in diesem Moment von der Debatte ab und gibt dem Angriff mehr Raum, als er eigentlich haben sollte. Das darf jedoch nicht zur Ausrede werden, untätig zuzusehen, wie zerstörende Kommunikation wütet. Denn: Lassen wir die zerstörenden Elemente schalten und walten, dann bleibt von der Debatte sowieso nicht viel übrig. Nur in den Sozialen Medien haben wir zumindest jene Ausrede auf unserer Seite, dass wir nicht reagieren, weil wir den Algorithmus nicht bedienen zu wollen (und bedienen ihn dann, doch, indem wir das Shitposting teilen und unsere eigene Empörung darüber setze… oder so).

Wer sich wehrlos gibt, stachelt den Angreifer noch auf. Da die Angreifer das soziale Miteinander, das Leben vieler Menschen (Rechtsruck) und den gesamten Planeten aufs Spiel setzen (Klima, Ökologie), können wir uns vornehme Zurückhaltung schlicht nicht mehr leisten. Ein bisschen zerstörende Kommunikation an der richtigen Stelle kann hierbei Wunder wirken – wenn die Hauptrichtung die erschaffende Kommunikation bleibt!

Über Dominic Memmel

Eine gesunde Mischung aus Kommunikation & Menschenkenntnis
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